Archiv für November, 2013

Art. 38 GG und die SPD-Mitgliederbefragung

Veröffentlicht: 29. November 2013 in Grundgesetz

Degenhart begründete seine Vorbehalte mit dem Grundsatz des freien Mandats nach Artikel 38 des Grundgesetzes, der auch bei der Kanzlerwahl gelte. „Auch wenn natürlich das Ergebnis der Mitgliederbefragung für die Abgeordneten bei der Stimmabgabe nicht formell verbindlich ist, kommt die Befragung aus meiner Sicht jenen Aufträgen und Weisungen nahe, die nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeschlossen sind“, erläuterte der Verfassungsjurist.

Die Parteien als solche dürften nicht über die Stimmabgabe der Abgeordneten bei der Kanzlerwahl bestimmen. Die Mitgliederbefragung habe aber „Elemente eines imperativen Mandats, das es nach dem Grundgesetz nicht geben darf“, so Degenhart.“

via„Verfassungsrechtlich nicht legitim“: Staatsrechtler stellt SPD-Befragung zum Koalitionsvertrag infrage – Handelsblatt.

Sehr viel eindringlicher als die Frage der Weisung – die ja auch beim Fraktionszwang geduldet wird, wie aktuell das Bundesverfassungsgericht die Frage beantwortet – ist für mich die Frage, der Wählbarkeit, so wie es ein Wähler der SPD ausdrückt, der glaubte, die SPD sei von vornherein gegen eine Große Koalition eingestellt gewesen, deswegen habe er sie gewählt.

Apropos Fraktionszwang durch Koalitionsverträge. Das wäre vielleicht ein größeres Thema: „Die Fraktionsdisziplin ist in keinem Gesetz und keiner Geschäftsordnung verankert, wird jedoch, gerade bei Koalitionsregierungen, regelmäßig in den deutschen Koalitionsverträgen festgeschrieben.

Gegen Degenhart spricht auch die Meinung des Bundesverfassungsgerichts, die sich so liest: Bei alledem ist der Gewährleistungsgehalt des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auf das gesamte politische Handeln des Abgeordneten bezogen und umfasst nicht nur dessen Tätigkeit im parlamentarischen Bereich. Die Sphären des Abgeordneten „als Mandatsträger“, „als Parteimitglied“ sowie als politisch handelnder „Privatperson“ lassen sich nicht strikt trennen; die parlamentarische Demokratie fordert insoweit den Abgeordneten als ganzen Menschen (vgl. BVerfGE 40, 296 <313>; 118, 277 <355>).

Die Mitgliederbefragung selbst ist eine Farce.

Wer ist hier welchem Imperativ ausgesetzt? Die Mitglieder dem der Partei, oder die Partei dem der Mitglieder. Nach meinem innerparteilichen Demokratieverständnis der SPD sind hier eher die Mitglieder unter Druck dem ausgehandelten Koalitionsvertrag ihrer Führung zustimmen zu müssen. Ich denke es wird eine überzeugende Mehrheit für den Koalitionsvertrag geben, weil die Parteimitglieder

KlausE aus B
*Nie wieder SPD*. Ich habe als Nichtmitglied der SPD meine Stimme gegeben auf Grund der klaren Wahlaussage… keine große Koalition mit uns…!

a) in der Partei sind um sie zu unterstützen

b) die Führung das so will.

Demokratisch wäre es gewesen, wenn man die einzelnen Punkte des Koalitionsvertrages den Mitglieder zur Abstimmung vorgelegt hätte. Dieses von der Partei der Piraten verfolgte Konzept des „Liquid Democracy“ geht aber in der Kürze der Zeit nur im Internet. Die (alte Dame) SPD lässt die Mitglieder im Übrigen nur per Briefwahl zustimmen.

PS:

http://www.carta.info/67553/markus-linden-mehr-konfliktoffenheit-in-der-demokratie-wagen/

Es fehlt in Deutschland grundsätzlich die Bereitschaft, Minderheiten und Konflikte zuzulassen und nicht jeden Abweichler und Dissidenten gleich in die Ecke zu stellen und zu diffamieren, nur weil er eine andere Meinung hat. Negativbeispiel nach Linden:  Gauck und AFD.

Bei der FAZ ist es über Jahr und Tag zur Mode geworden das Bundesverfassungsgericht zu diskreditieren.

Eine aktuelle Auflage davon. Bitte schön:

„Es ist zur Unsitte geworden, alles und jedes, was einem nicht passt, mit dem Totschlag-Argument der Verfassungswidrigkeit auszustatten. Sogar das Bundesverfassungsgericht neigt zu einer extensiven Auslegung seiner Kompetenzen.“

via TV-Kritik: Maybrit Illner: Wie Frau Slomka das Grundgesetz malträtierte – FAZ.NET-Frühkritik

Die Mehrheit von Schwarz-Rot schwächt wohl die Parlamentsarbeit.

Prof. Morlok: …das kann man hier schon so sehen, was ich vorher so Politbüro-Prinzip genannt habe.

Die Vielzahl der Auffassungen, der Interessen, der Überzeugungen ist es, die wir in einem Parlament haben und haben wollen. Die erst machen gemeinwohlverträgliche Politik möglich.

via Rechtswissenschaftler – Bundestags-Hauptausschuss ist „eine Art Politbüro“.

Der Hauptausschuss soll unter anderem über Gesetzesinitiativen des Bundesrates und der Opposition beraten, ebenso über Petitionen. Das ist sonst die Aufgabe der 22 Fachausschüsse, nun soll bis zur Koalition das große Gremium alles regeln.

„Demokratische Neuerungen ereignen sich im Schlamm der Prosa der Alltäglichkeit“

Veränderungen, so die Autorin Nadia Urbinati des Artikels „Die Zukunft der Demokratie“, in: Transit 44/2013, sind nicht immer so romantisch wie zu Zeiten von Hannah Arendt. Aber die Bedeutung der Parteien in der direkten repräsentativen Demokratie ist durch die Geschichte unbestritten die von mehr Teilhabe gleicher Bürger.

Wenn nun eine Partei, wie die SPD, ihre Anbindung verliert, weil sie den Willen des Volkes nicht erkennt, und sich in ihrem Handeln stattdessen von dem Willen ihrer Parteimitglieder abhängig macht, erfolgt ein Umbau der Parteiendemokratie: Die repräsentativen Mitglieder lassen sich parteiintern noch einmal einen Auftrag zum Regieren geben. Geht das eigentlich? Mehr dazu hier und hier.

Der Umbau des westlichen Wirtschaftens im Zuge der Thatcher-Reagan-Regierungen habe Krisen gezeitigt, die nicht nur wirtschaftlicher und sozialer Art sind; „sie betreffen auch die Glaubwürdigkeit und Effizienz der demokratischen Institutionen und Entscheidungsverfahren.“ Das bekommt die SPD, die mit der Blair-Schröder-Öffnungspolitik dieser Form des freien Wirtschaftens Tür und Tor geöffnet hat, nun wieder, und noch einmal deutlicher, zu spüren. Und so glaubt ein Kritiker aus Österreich, das Ende der Parteien sei nahe, wenn er sagt: „Die guten alten Tage der großen Volksparteien, wo jeder sich je nach Präferenz und Milieu aufgehoben fühlen konnte: Die ist wohl permanent perdu.“

Nadia Urbinati gibt Anregungen. Dazu gehört nicht gerade der Aufruf zu mehr Transparenz: „Überdies verändert Transparenz die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte, vor allem aber den Tenor der politischen Beziehungen, denn sie kann hinderlich für die Vermittlung zwischen unterschiedlichen Positionen und für Kompromisse sein, beides Strategien der Vorbereitung auf Entscheidungen, von denen die Politik vor allem in repräsentativen Regierungsformen lebt.“  – Auch die Online-Demokratie („Direkte repräsentative Demokratie möchte also auf Wahlen basierende Demokratie ohne politische Parteien sein und sich durch die Bewegungen im Netz verwirklichen.“) stellt sie durchaus kritisch dar: „Die aktuellen Veränderungen sind revolutionär, und noch wissen wir nicht, wie das demokratische System aussehen wird, ob es wiedererkennbar sein wird, wenn die Umwandlungsprozesse sich stabilisiert haben.“

Was bleibt ist, bei einem guten Glas Rotwein, die Grundzüge der Demokratie im geschichtlichen Überblick mit einem Hauch Prosa über Soziale Autorität und Autonomie, als „Keim für die permanente Krisenanfälligkeit demokratischer Gesellschaften“ präsentiert zu bekommen; verbunden mit der Gewissheit: Wenn es von der Straße her zu laut wird, kann man das Fenster zumachen.

via Eurozine – Zwischen allgemeiner Anerkennung und Misstrauen – Nadia Urbinati Die repräsentative Demokratie im Zeitalter des Internets

Siehe auch: Bundeszentrale für Politische Bildung – Eine bessere Demokratie…

Seit Jahren scheitert die Einführung bundesweiter Volksentscheide an der Union. Doch nun fordern SPD und CSU mehr direkte Demokratie im Koalitionsvertrag. Die CDU ist in die Defensive geraten. In diesem Punkt müssen wir SPD und CSU jetzt den Rücken stärken:

Unterzeichnen Sie unseren Appell!

169.056 haben unterzeichnet. Helfen Sie, 200.000 zu erreichen!

Sehr geehrter Herr Gabriel,

Sehr geehrter Herr Seehofer,

die Zeit ist reif für mehr Demokratie: Volksbegehren und Volksentscheide haben sich in Städten, Gemeinden und in den Bundesländern längst bewährt – neun von zehn Bürger/innen befürworten sie auch auf Bundesebene.

Nutzen Sie die Zwei-Drittel-Mehrheit einer Großen Koalition und ermöglichen Sie uns Bürger/innen, selbst Gesetzesvorschläge ins Spiel zu bringen und Gesetze zu hinterfragen. Stimmen Sie dem Koalitionsvertrag nur zu, wenn bundesweite Volksentscheide eingeführt werden.

Mit freundlichen Grüßen

(Name und Ort werden angehängt)

via Teilnehmen – Volksentscheid jetzt bundesweit! – Campact.

Im Rahmen meines Politikverständnisses verweigert die CDU ihre Zustimmung aus verschiedenen Gründen:

  1. Taktik: im Rahmen der Koalitionverhandlungen kann sie sich dafür ein Ja der SPD an anderer Stelle „erkaufen“
  2. Taktik: im Rahmen der Verhandlungen mit Arbeitgebern bekommt die CDU dafür möglicherweise eine Parteispende, weil sie der SPD das JA zum Verzicht auf einen Mindestlohn abtrotzen konnte, wenn sie selbst dem Volksentscheid zustimmt
  3. Taktik: im Rahmen des Demokratieverständnis der CDU ist die Indirekte Demokratie eine Heilige Kuh, die sie nur schlachtet um im Austausch mit den Lobbyisten/Arbeitgebern eine Gegenleistung für einen „Gefallen“ zu erhalten. Die CDU praktiziert Direkte Demokratie nur im Rahmen eines Lobbyismus, der so funktioniert, wie wir es kürzlich gesehen haben: CO-2-Normverzicht zugunsten der Autoindustrie gegen Parteispende von Quandt/BMW.